3 S E RIE
TONSTUDIOS
K opfhörer zu vorproduzierten Playbacks
spielen - eine ganz schöne M a terial-
schlacht.“
W eitsichtig also, dass m an seit dem N eu-
beginn 2002 in E quipm ent investiert hat,
der Regieraum w urde sogar kom plett neu
gebaut. Als M ischpult setzt m an inzw i-
schen auf eine K om bination: Ein digitaler
Controller 5mc von Avid w ird von analo-
gen Studer 980-Pulten eingerahm t, deren
pultinterne M ikrofon-V orverstärker einen
hervorragenden R uf genießen. W ährend
die Studer 980-Pulte som it der A ufnahm e
dienen, lassen sich über den digitalen Con-
troller kom fortabel H underte von Spuren
m ischen.
Sehr w ichtig seien zudem M ikrofone:
„W ir arbeiten sehr viel m it alten M ikrofo-
nen von N eum ann aus den 1950/60er Jah-
ren. H eute sind M em branen in den M ikro-
fonen entw eder aus Gold, aus Silber oder
aus Plastik m it Gold beschichtet, w ährend
m an frü h er N ickelm em branen verw en-
dete, die einen wärm eren, seidigeren Klang
hatten, was gerade zu Orchestermusik ideal
passt. Die sehr aufw ändigen Fertigungs-
straßen für N ickelm em branen existieren
heute nicht m ehr.“ Für Lehm ann hat ein
M ikrofon deshalb den Rang eines Instru-
m ents, hat doch jedes seine eigene C ha-
rakteristik, die sich für bestim m te M usik-
richtungen etc. unterschiedlich gut eignet.
Im Ü brigen u n tersch eid et sich seine
Klangphilosophie diam etral von jener der
Chesky-Brüder, die glauben, einen „natür-
lichen“ K lang m ittels eine K unstkopfes
einfangen zu k ö n -
n en , b ei V erzicht
au f ein M ischpult
(sieh e
STE R EO
11/13). L eh m an n
dag eg en ist sich
sicher: „U m einen
natürlichen Klang-
eindruck zu erhal-
ten, m uss m an viele künstliche Schritte
m achen. Sich im Aufnahmesaal den besten
Platz auszusuchen u n d d o rt einfach ein
K ugelm ikrofon aufzustellen, funktioniert
nicht. Da sollten noch Geschmacksverstär-
ker drauf.“ O bw ohl A kustik naturw issen-
schaftliche G rundlagen habe, gäbe es in
seinem M etier keine „Gesetze“: „A ufnah-
m etechnik ist sehr viel H andw erk, etwas
Kunst und Fantasie, aber sicher keine W is-
senschaft“.
A n d re a s K u n z
Das Mischpult im
Regieraum 1 in der
Nahaufnahme
„Klangtiefe durch Laufzeiten"
Tobias Lehmann
arbeitete von 1989
bis 2001 für Teldec
Classics interna-
tional (Warner)
und ist seit 2002
geschäftsführender
Gesellschafter der
Teldex-Studios Berlin
und dort als Toninge-
nieur und Produzent
tätig. Der studierte
Tonmeister wurde
mit drei Grammys
ausgezeichnet
Ihr Aufnahmesaal hat einen hervorragenden
Ruf: Warum?
Weil er hervorragend ist! Er ist das Herzstück
der Teldex Studios. Seine Akustik sorgt nicht
nur für einen warmen, runden Klang bei den
verschiedensten Besetzungen, sondern auch
dafür, dass die Musiker sich beim Zusammen-
spielen gegenseitig gut hören können - im
Unterschied zu einigen anderen Räumen, wo
zwar Zuhörer die Musik genießen, aber die
Musiker selbst ihren Nebenmann nur schwer
wahrnehmen können. Ich kenne eigentlich nur
noch zwei andere Studios dieser Größenord-
nung auf der Welt, die in der Hinsicht ähnlich
gut funktionieren: Abbey Road London und
das Funkhaus Nalepastraße in Ostberlin.
Vertreten die Teldex Studios eine eigene
Klangphilosophie?
Wir kommen aus der Tradition der TELDEC
Telefunken-Decca Schallplatten GmbH und
orientieren uns bei vielen unserer Aufnahmen
an dieser Philosophie, Stichwort Decca-Drei-
eck. In den
1 9 5 0
er Jahren entwickelte Decca
in London ein Aufnahmeverfahren, das mit drei
Neumann
M
5 0
-Kugelmikrofonen
als
Haupt-
mikrofonen funktioniert: eines für das linke
Panorama, eines für das rechte und ein drittes
für den Center, so dass man mit dessen Pegel
die Breite des Klangbildes steuern kann. Stark
vereinfacht gesagt werden diese drei Mikro-
fone dort positioniert, wo der Klang besonders
ausgewogen ist. Neben dieser Hauptebene gibt
es noch mindestens zwei weitere: eine wei-
ter weg für den Raumklang, die Größe, die „Luft"
(vorzugsweise auch mit Kugelmikrofonen) und
eine nähere - eine Vielzahl von Stützmikrofonen
nah an den Instrumenten, um geschmackvoll
und musikalisch Präsenz addieren zu können.
Dabei kommen meistens Mikrofone mit Nieren-
oder Achter-Charakteristik zum Einsatz, je nach
Anwendung und Instrument dynamische Mikro-
fone, Kondensator- oder Bändchen-Mikrofone.
Gibt es DAS „Rezept“ für eine gute Aufnahme?
Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, dass man
eine gute Aufnahme hinbekommt, indem man
einfach in einem Konzertsaal an einem gut klin-
genden Punkt ein Stereomikrofon positioniert.
Es wird einem so bestenfalls gelingen, einen
Mitschnitt zu erzeugen, auf dem man mögli-
cherweise das Stück erkennt - mehr sicher
nicht, vergleichbar mit einem schlechten Foto.
Fragen Sie mal einen guten Maler, wie er über-
zeugend Wasser hinbekommt? Er wird sicher
nicht antworten, dass er Blau nimmt und Wellen
malt - fertig. Er mischt, übertreibt, verschleiert,
schattiert, was weiß ich .
.. Ähnlich ist es mit
einer wirklich guten Aufnahme: Sie ist immer
ein Mix aus zu nahen und zu weit entfernten,
zu hellen und zu dunklen, zu trockenen und zu
halligen Signalen. Man muss viele unnatürli-
che Dinge tun, damit es über Lautsprecher
oder Kopfhörer natürlich klingt.
Wie gelingt es Ihnen, Laufzeitunterschiede
der Mikrofone auszugleichen, die ja gerade
bei Orchesteraufnahmen weiter voneinander
entfernt stehen?
Es gibt tatsächlich Ansätze, die sagen: Da, wo
mein Hauptmikrofon steht, ist quasi die Null-
zeit, und alle Stützen, die näher an den Instru-
menten stehen, verzögere ich in Relation
dazu. Wenn zum Beispiel ein Stützmikrofon
zehn Meter näher an einem Instrument steht
als das Hauptmikrofon, müsste ich das Signal
aus Ersterem um
3 0
Millisekunden verzögern,
denn so lange benötigt der Schall in etwa für
zehn Meter. Gerüchten zufolge wird das auch
von einigen Kollegen so gehandhabt.
Und warum arbeiten Sie anders?
Laufzeitunterschiede auszugleichen ist ge-
nau das, was ich nicht will! Durch Laufzeiten
entsteht Klangtiefe, und daher genieße ich
sie und verstärke sie manchmal noch durch
Hinzufügen von Delays - wissend, dass das
nach der Therorie natürlich völlig falsch ist.
Aber in der Klanggestaltung bei Aufnahmen
greift - zum Glück - Theorie nur sehr be-
grenzt. Erlaubt ist, was gut klingt und nicht,
was sich gut berechnen lässt. Genau diese
kreative Freiheit, bewusst „falsche" Dinge zu
tun, ist es übrigens, die ich - neben der Ar-
beit mit interessanten Musikern natürlich - an
meinem Beruf so sehr liebe.
38 STEREO 3/2014